Gatekeeper und weg

Bis zur Österreichischen Nationalratswahl am 29. September “sehe” ich wöchentlich “dem Netz,” für die ZEIT zu, wie sie in der Bildunterschrift zur ersten Kolumne so schön schreibt. Diese vierte Kolumne erschien am 12.9.2012.

Um Wähler zu erreichen, mussten sich Parteien bisher weitgehend auf traditionelle Medien verlassen. Politiker erzählten Journalisten ihre Botschaften, was die umgehend zu Papier brachten – zum Leidwesen der Politik allerdings immer verkürzt, häufig adaptiert und einem Faktencheck unterzogen. Dazu bietet das Internet eine Alternative. Dort werden Bürger ungefiltert erreicht. Die journalistischen Gatekeeper haben nicht das letzte Wort.

Das bringt aber auch neue Verantwortung mit sich. Bisher produzierten die Gatekeeper Texte, Fotos, Videos, Grafiken und andere Inhalte – heute müssen das die Parteien selbst übernehmen. Vor allem Fotos und Videos funktionieren in Sozialen Netzwerken gut, weil es einfach ist, sie mit anderen zu teilen.

Parteien haben aber meist nicht die Ressourcen oder die Kompetenz, diese Inhalte zu produzieren. Deshalb müssen Kommunikatoren auf bestehende Inhalte zurückgreifen, die aber in Sozialen Netzwerken nicht und nicht funktionieren wollen – etwa der Livestream der Ministerratspressekonferenz, der von der Facebook-Seite des Bundeskanzlers beworben wird.

Die ÖVP hingegen hat die neuen Gegebenheiten zu einem anderen Extrem getrieben: Sebastian Kurz ließ für ein Wahlkampfvideo sogar falsche Zeitungsartikel produzieren, weil ihm die echten nicht positiv genug waren. Ansonsten postet die ÖVP derzeit lieber inhaltsfreie Fotos von Wahlkampfauftakten und Sommerfesten – was recht gut zum restlichen Wahlkampf passt. Es scheint, die ÖVP ist dem Missverständnis erlegen, Kommunikation in Sozialen Netzwerken müsse mit Katzen- und Urlaubsfotos konkurrieren und dürfe deshalb nicht sonderlich politisch erscheinen.

Das Gegenteil ist der Fall. Die Gruppenbilder mit Politikern vor einem Propagandaplakat haben ausgedient. Niemand teilt das Foto einer Medienaktion mit seinem Netzwerk, weil es keinen Mehrwert an Information bringt. Stattdessen sind Infografiken, die tatsächlich inhaltliches Unterfutter für eine politische Position bieten, beliebter. Die deutschsprachige Seite der OECD, die jeden Tag eine Statistik aufbereitet und damit mehr Fans hat als Kanzler und Vizekanzler zusammen, ist ein Beweis dafür.

Doch hier wird das Problem der fehlenden Kompetenz schlagend: Noch nie musste eine Partei selbst Infografiken erstellen, und so sind die meisten grafisch aufbereiteten Informationen, die in diesem Wahlkampf zu sehen sind, unansehnlich. Etwa jene, die von der SPÖ nach dem Kanzlerduell auf Puls4 verbreitet wurde. Die positive Botschaft – der Kanzler gewinnt in sieben von acht Kategorien, die abgefragt wurden – ging unter, weil die Balkendiagramme direkt aus dem Excel-Programm exportiert wurden.

Wenn es aber zum negative campaigning betrieben werden soll, dann beginnen Parteien doch noch, Inhalte zu produzieren. Einerseits lässt der ÖVP-Generalsekretär eine Broschüre verbreiten, in der das Horrorszenario einer rot-grünen Regierung ausgemalt wird, anderseits verbreitet eine anonyme Gruppe unter schwarzbuchoevp.at Videos, Infografiken und Texte über die Verstrickung von ÖVP und Raiffeisen. Es geht also doch.

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Interaktive Infografiken

Wahlkampf ist’s. Und dabei vergesse auch ich oft (Interviewende sowieso), dass ich das Echoprinzip eigentlich nicht primär für Wahlkämpfe, sondern für Organisationen und NGOs geschrieben habe. Denn denen Hilft Onlinekommunikation mehr als Parteien – auch weil sie sich nicht nur im Wahlkampf dafür interessieren.  Deshalb heute mal wieder ein Blog über den Tellerrand:

Allgemein wird behauptet, das Internet sei kein Ort für faktenbasierte Diskussion. „Was soll sich auf 140 Zeichen schon ausgehen.“ „Die Politik kann halt nicht mit Urlaubsfotos und Katzenvideos konkurrieren.“ etc. Doch vor allem in einem Bereich ist die neue Medienwelt der alten weit überlegen. Früher wurde mit inhaltsarmen Transparentsprüchen und inhaltsleeren Symbolbilder versucht Stimmung für/gegen etwas zu machen. Heute sind es Infografiken, die funktionieren, weil sie Menschen informieren und ernst nehmen. Niemand teilt das Foto einer Medienaktion, Infografiken, die etwas Neues vermitteln schon. Die deutschsprachige eine-OECD-Statistik-pro-Tag-Facebookpage hat 40.000 Fans.

Ein Best Case ist mir letzte Woche begegnet:  http://inequality.is ist eine Microsite des Economic Policy Institute auf der man argumentatives Unterfutter zu Verteilungsungerechtigkeit animiert und mit einfachen, interaktiven Elementen bekommt. Die Seite lädt zum klicken und rumprobieren ein, ohne Argumente zu verkürzen: Jede Zahl ist mit Quellen unterlegt und jeder Screen lädt zum weiterlesen ein. Auch in Sachen Call to Action lässt die Seite nichts aus: Der letzte Argumentationspunkt zeigt sowohl inhaltliche Lösungsansätze, als auch Asks die Seite zu verbreiten, Petitionen zu verfassen, usw. Allerdings beginnt dort die Usability der sonst so guten Seite zu schwächeln: Die Formulare, Sharebuttons und Signups sind ein paar Klicks zu gut versteckt.

Die Seite zeigt das Potential von Microsites und gut recherchierten Infografiken über Whitepapers oder plumpen Transparentsprüchen. Einmal ins Netz gestellt bleiben die Zahlen langfristig gültig (siehe Kapitel Long Tail im Buch) und dienen UnterstützerInnen nicht nur als argumentative Grundlage sondern auch einfach dafür in Diskussionen auf die Page zu verweisen – und dazu braucht es keinen Wahlkampf.

UPDATE: Jetzt wird’s doch noch mal wahlkämpferisch. Die SPÖ Frauen haben heute auch eine Microsite veröffentlicht, die im Vergleich mit inequality.is ausgezeichnet zeigt, wo verbesserungsbedarf besteht: Auf http://heldinnenplatz.at/ bekommen wir Einblick in das Leben der fiktiven Hannah, deren Leben dank SP Frauenpolitik einfacher wurde. Anleihe hat sich die Organisation wohl an der mittlerweile leider nicht mehr verfügbaren Page „Life of Julia“ der Obama-Kampagne (die Antwort libertärer RepublikanerInnen ist noch online) genommen. Im Gegensatz zu Inequality.is lädt die Website allerdings nicht zum wieder kommen und rumspielen ein und hat keinen klaren Call to Action. Sie bleibt auch inhaltlich/argumentativ eher auf der Transparentspruch-Ebene. Gerade was die Angriffe auf die ÖVP angeht hätten 1-2 Zitate oder Quellen geholfen, der Seite Seriosität zu geben.

 

Das politische Bild

Das politische Bild war schon immer ein wichtiger Kommunikationskanal, um Botschaften zu verbreiten – der Nebenfachhistoriker in mir zwingt mich HerscherInnenportraits zu erwähnen. Online sind sie der beste Beweis meiner These, dass alte Methoden auf neue Kanäle angewandt werden: Medienaktion mit PolitikerIn, AktivistInnengruppenfoto und Transparent im Hintergrund hier, Pressekonferenzfoto da. Die Amis (und, wie das Bild von Wowereit zeigt, zum Teil die Deutschen) sind da schon weiter und hören auf, gestellte Grinsefotos zu veröffentlichen – sondern stattdessen (genauso kontrollierte) Schnappschüsse. Jetzt könnte man meinen, nagut, kann halt nicht jeder so charismatisch sein wie Obama und Wowe. Doch ich finde, gerade Fotos von Pete Souza, dem offiziellen Fotografen des Weißen Hauses zeigen, dass es nicht so sehr das Motiv ist, das langweilig ist, sondern die Linse. Der schafft es sogar die als stocksteif geltende Merkel als sympathischen Menschen zu zeigen, die ihren Job macht – und auch mal Pause: Das hier und das hier finde ich zwei schöne Bespiele.

Das war auch Thema beim Pressegespräch zum Buch letzen Mittwoch, wo einer der besten Pressefotografen des Landes, Christian Müller, einen Punkt einbrachte, den ich im Buch nicht berücksichtig habe: Fotografen brauchen Platz. Der Grund, warum Pete Souza solche Bilder schießen kann ist, weil niemand in der Nähe des Objekts ist, das fotografiert werden soll. In Österreich drängelt sich immer ein Hinterbänkler auf’s Bild oder PassantInnen oder der/die PressesprecherIn. In den USA sind PolitikerInnen weiträumig abgeblockt vom einfachen Volk – sogar wenn sie dem einfachen Volk die Hand geben. Auch wenn es nicht erklärt, warum Organisationen noch immer Fotos einer Medienaktion zeigen und nicht AktivistInnen, die ein Wochenende lang an einem Transparent für eine Medienaktion malen, ist es doch eine Erklärung für fade Pressekonferenzfotos und führt zu einem Dilemma: so abschotten wie Amis sollten sich unsere PolitikerInnen ja dann doch nicht.

Auf Plakaten hat sich zumindest die ÖVP bereits vom alten Herrscherportraitfotostil verabschiedet, wenn man dem Bericht in einer Zeitung (die ich mir leider nicht gemerkt hab – war’s im Profil?)  glauben mag: Bald wird uns Michael Spindelegger – beraten von Deutschen – nicht in Herrscherpose, sondern in Wowereit-Pose grüßen; wenn ihm nämlich ein Kind einen Hut aufsetzt. Vielleicht verstehe ich dann endlich die „Startup/Matura/Bauherr“-Sujets.

UPDATE: Da ist es jetzt endlich: Michael Spindelegger geht auf den Spielplatz und es wird ihm ein Hut aufgesetzt.