Back to the Roots: Astroturfing, PR und Zigaretten

Astroturf ist englisch für Kunstrasen, wie er in Sportstadien eingesetzt wird. Damit ist er das Gegenteil von echtem Gras und dementsprechend ist es auch das Gegenteil von Grassroots. Wikipedia sagt: Astroturfing will „den Eindruck einer spontanen Graswurzelbewegung vorzutäuschen. Ziel ist es dabei, den Anschein einer unabhängigen öffentlichen Meinungsäußerung über Politiker, politische Gruppen, Produkte, Dienstleistungen, Ereignisse und Ähnliches zu erwecken“ Das will ich um ein wichtiges Element erweitern: Sie reframen das Thema.

In den USA ist das eine weitverbreitete Taktik: Da starten Lebensversicherungen eine Kampagne, die 75 Millionen Familien absichern will – und damit meint: keine Steuererhöhungen auf Lebensversicherungen. Da starten die großen Zuckerwasserverkäufer eine Kampagne die vermittelt, dass Amis ein reichhaltiges Angebot an Zuckerwasser haben – und meinen damit weg mit den Regulierungen auf Beschriftung, Packungsgröße, etc. (auf den zweiten Blick ist die Kampagne wohl auch und vor allem Greenwashing). Da gibt sich die Corn Farmers Coalition als Vereinigung kleiner Bauern und liegt eigentlich mit allen Größen der Lebensmittelindustrie im Bett. Das Verwerfliche an Astroturfing ist dabei nicht die politische Forderung, die sind wenn auch nicht meine, nachvollziehbar. Verwerflich ist der Versuch der Instrumentalisierung.

Jetzt hat Österreich auch so eine Kampagne: Mein Veto – Bürger gegen Bevormundung. Sie steht ihren amerikanischen Vorbildern um nichts nach. Auch diese Kampagne erweckt auf ersten Anblick den Anschein, als wären es spontan empörte BürgerInnen, die nicht mehr weiter bevormundet sein wollen vom Staat, der uns damit jede Eigenverantwortung abspricht. Eine einfach, aber gut gemachte Website (an der Conversion für die Petition könnte man noch arbeiten), präsentiert in einem emotionalen, aber nicht unsachlichen Ton (1), unterstützt von honorigen Herren mit vielen Titeln. Erst ein wenig scrollen offenbart die Geldgeber der Kampagne (ich nehme nicht an, dass die Herren Universitätsprofessoren dafür zahlen, dass sie ihr Gesicht auf der Website sehen): Der Verband der Brauereien Österreichs, der Verband der  Cigarren und Pfeifenfachhändler Österreichs, British American Tobbacco. Man gebe hinzu: ein schickes Cafe am Wiener Naschmarkt, ein Meinungsforschungsinstitut und eine PR-Agentur. Die letzeren beiden sind wohl auch für Konzeption und Ausführung verantwortlich – man wird wohl nicht ein weiteres Meinungsforschungsinstitut zurate gezogen haben, um herauszufinden, dass ganze 92% der Befragten davon überzeugt sind, dass „Menschliches Verhalten […] nicht vollständig durch Gesetze geregelt werden [kann]“ (2).

Astroturfing zeichnet sich, wenn es so gut gemacht ist wie hier, vor allem dadurch aus, dass es breit genug ist, dass möglichst viele es unterschreiben können, die tatsächlichen Forderungen dann später aber von den Geldgebern konkret formuliert werden. Als Teil des Forderungspakets nimmt man eine auf, die nicht auf der Agenda der Geldgeber steht – möglichst etwas, das Common Sense ist und wenn’s die EU in ihrer oft absurd anmutenden Überregulierung auch noch trifft, umso besser. Das (bereits wieder ad acta gelegte) Olivenölkannenverbot eignet sich blendend und zeigt, dass die MacherInnen etwas von ihrem Handwerk verstehen.

Mit Kampagnen wie diesen kommt PR wieder zurück zu ihren Wurzeln – im mehrfachen Sinn: Der österreichisch-amerikanische Edward Bernays gilt als Vater der PR, eine seiner ersten Kampagnen war die „Fakeln der Freiheit“ Kampagne, in der Bernays im Auftrag der American Tobacco Company Frauen dafür bezahlte, rauchend – als Symbol der Emanzipation – durch New York zu ziehen.

(1) vielleicht sollte man dafür einen Neologismus einführen: Verwunft – Vernunft Wut – das was auch die Neos ganz gut treffen.

(2) Fast zehn Prozent aller Menschen glauben, dass Verhalten vollständig durch Gesetze geregelt werden kann! Das ist die versteckte Geschichte!

UPDATE: Nachdem sich auf Twitter eine Diskussion ergeben hat, ob das jetzt denn Astroturfing sei oder nicht, weil die Geldgeber ja genannt würden, eine kurze Klarstellung. Die deutschsprachige Wikipedia hat das Verheimlichen der Geldgeber nicht in ihrer Kerndefinition von Astroturfing enthalten. Zwar macht ein FORMAT Artikel von letzter Woche den Anschein, ein Initiator der Kampagne hätte sich auf der Pressekonferenz um die Frage nach den Geldgebern gewunden, der Kurier aber fällt vollends auf die Kampagne rein („Zwei Professoren und die Mehrheit der Österreicher gegen Verbote“), und führt erst im letzten Satz die Geldgeber an – die in der Einladung zur PK offenbar noch nicht so genannt wurden.

Ich halte das Reframing von Forderungen und das den-Anschein-einer-Bürgerbewergung-erwecken für zentraler, als die Geheimhaltung der Geldgeber (alle drei amerikanischen Beispiele im Text legen die Geldgeber offen).