Bis zur Österreichischen Nationalratswahl am 29. September „beobachte“ ich wöchentlich „das Netz,“ für die ZEIT, wie sie in der Bildunterschrift zur ersten Kolumne so schön schreibt. Die erste Kolumne erschien erstmals in der ZEIT am 22.8.2012.
Irrtümer im Netz
Manche Leute funktionieren online nicht VON YUSSI PICK
Zum ersten Mal versuchen in diesem Wahljahr die Parteien ernsthaft, das Internet auch als Medium ihrer politischen Werbung zu nutzen – mit gemischtem Erfolg. Nach einem oberflächlichen Blick auf die unterschiedlichen Onlinewahlkämpfe könnte man meinen, die Politik beträte Neuland, doch fast jede Partei kann auch eine gelungene Initiative vorweisen. Natürlich machen Parteien in diesen vermeintlich neuen Medien Fehler – aber auch die Kommentatoren erliegen drei Irrtümern.
Der erste Trugschluss, dem sowohl Parteien als auch viele Wahlkampfanalysierer unterliegen, ist die Vorstellung, die primäre Funktion von Netz-Kampagnen sei es, neue, womöglich noch junge Zielgruppen zu überzeugen oder zu erschließen. Als würde jemand bei Facebook auf den Like-Button klicken, wenn er von der betreffenden Botschaft nicht schon überzeugt wäre. Das Netz ist ein Mobilisierungskanal, über den man Menschen, die einem bereits nahestehen, langsam in Aktivisten verwandelt. Die ÖVP etwa hat das verstanden und für Freiwillige eine eigene Kampagne mit Website, Video und E-Mail-Programm geschaffen. Bloß ob sich sechs Wochen vor der Wahl Menschen melden, die nicht ohnehin mitgearbeitet hätten, lässt sich anzweifeln.
Das zweite Missverständnis ist es, Wahlkampf im Netz damit gleichzusetzen, wie Politiker X im Netz ankommt. Manche Persönlichkeiten funktionieren online, andere nicht – so wie das auch am Stammtisch ist. Das zeigen Piraten und NEOS, die beide nicht nur auf ihre Spitzenkandidaten, sondern auf ein Netzwerk unterschiedlicher Persönlichkeiten setzen und jeweils ebenfalls als Partei kommunizieren. Auch dem Team Stronach war klar, dass sein Spitzenkandidat im persönlichen Gespräch gut ankommen mag, aber dass man im Netz doch besser über einen Parteiaccount kommuniziert.
Der dritte Fehler ist es, Onlinewahlkämpfe auf Social Media und Kennzahlen zu beschränken. Dass Michael Spindelegger über mehr Facebook-Fans als Werner Faymann verfügt, heißt nicht, dass er am 29. September auch mehr Stimmen erhalten wird. Die Grünen liegen anderseits richtig, wenn sie begreifen, dass das Netz aus vielen Kanälen besteht. Sie bringen eine App für Smartphones und Tablets heraus, sie arbeiten mit Bildern und Videos ebenso zielsicher, wie sie auf Twitter kommunizieren. Allein nur über Facebook Wähler anzusprechen wäre damit gleichzusetzen, ausschließlich vor U-Bahn-Stationen Wahlkampf zu führen.