Feig. Ein Bericht.

7:20 ÖBB Railjet von Wien nach Zürich, kurz nach der Abfahrt in Wien. Drei in zivil gekleidete Menschen , die nicht aussehen, wie SchaffnerInnen aber auch nicht wie Passagiere, kommen in den Wagon. Für den Bruchteil einer Sekunde stehen sie ratlos im Gang, bis sie sich zu mir drehen. Polizeiliche Ausweiskontrolle. „In was für einem Polizeistaat leben wir eigentlich, dass die Polizei mich ohne Verdacht nach irgendetwas fragen darf?“ – Sage ich natürlich nicht laut. Seit 6 Uhr wach. Viel zu früh für zivilen Ungehorsam, ich zeige meinen Führerschein auf dem der Polizei ein 17jähriger Ich, langhaarig, Palistinensertuch tragend engegenlächelt. Die Polizistin klopft Daten in ihren Computer und gibt mir den Ausweis zurück. Den Personalausweis des im Anzug gegenüber sitzenden RZB Bankers braucht jener gar nicht aus dem Geldbörsel nehmen. Ich greife schon zum Handy um mich per Twitter zu beschweren: „Im Zug von Wien nach Linz werde ich von der Polizei nach einem Ausweis gefragt. #Polizeistaat.“ Aber es geht gar nicht um mich. Denn wen ich erst dann bemerke ist jener Passagier in den Sitzen auf der anderen Seite des Ganges. Ein junger Mann dessen Hautfarbe auf die Unwahrscheinlichkeit schließen lässt, dass seine Großeltern im österreichisch-ungarischen Hoheitsgebiet geboren wurden und der scheckkartengroße, laminierte Ausweis, den er der Polizei gibt, verringert die Wahrscheinlichkeit, dass er selbst hier geboren ist. „Do you have passport“ fragt ein Polizist, während der andere eine clownisch große Lupe zückt. Er sieht sich den Ausweis an und schüttelt dann den Kopf. Noch einmal: „Do you have a passport?“ Der Herr verneint. „Come with us – is that yours?“ deutet der Polizist auf Gepäck im -träger.

Ich sitze daneben. „Gibt’s ein Problem?“ überlege ich die PolizistInnen zu fragen. Dann fällt mir die Regel aus dem Antira Workshop ein, der noch länger her ist als das Führerscheinfoto: Nicht Angreifer angreifen, sondern Opfer unterstützen: „Do you need help?“ Aber ich bleibe stumm. Die PolizistInnen begleiten den Herrn aus dem Wagon. 7:22.

Man hat nicht oft eine Chance, zivil couragiert zu sein. Warum habe ich sie nicht genützt? Natürlich, vielleicht hätte es ihm nicht geholfen hätte ich mich eingemischt, die Situation nur schlimmer gemacht. Aber schlimmer als alleine in einem Land in dessen Sprache man nicht sattelfest ist, drei PolizistInnen gegenüber zu sitzen, die keiner Sprache mächtig sind, die man selbst spricht? Ja, vielleicht hätte die Polizei versucht mir das Leben schwer zu machen. Aber schwerer, als mich mit fadenscheiniger Paragraphenaufzählerei zum Aussteigen zwingen und mich einen Zug später wieder einsteigen lassen zu müssen? 7:23. Ein dicker, kahlköpfiger Mann drängt sich schwitzend in den gerade freigewordenen Sitz, als hätte ich ihn als Stilmittel dazu erfunden.

„Do you need help?“ Stattdessen sitze ich hier und schreibe einen Blogpost. Feig.

3 Kommentare zu “Feig. Ein Bericht.

  1. Philipp Sonderegger

    1. Nicht unausgeschlafen an die Schienen ketten! Jede/r hat andere Möglichkeiten und die eigenen sollte man nicht überschreiten, damit die Situation nicht sinnlos eskaliert. Eine Schülerin hat andere Handlungsspielräume wie ein Nationalratsabgeordneter. Ein Blogger andere als ein Jurist. Oft lässt sich im nachhinein mehr machen, als in der Situation selbst.

    2. Zuerst: Situation sowie Ziele und Reichweite meines Handelns reflektieren: Was nutzt dem/r Betroffenen, was kann ich sonst erreichen? Soll meine Präsenz die Situation deeskalieren? Will ich dem Beamtshandelten helfen und Mut machen? Will ich die Medien informieren? Will ich die Beamt/innen von Fehlverhalten abbringen? Und kann ich das? Es ist auch gut, vohrher zu wissen, wie intensiv man interveniert. Davon hängt ab, mit welchen Konsequenzen man in der Situation und ev nachher fertig werden muss.

    a) dokumentieren, weitererzählen. Unrecht sichtbar machen ist das wichtigste überhaupt. Es bringt Betroffene aus ihrer Isolation, ermöglicht Gleichgesinnten Mobilisierung und ist die Voraussetzung für politischen Druck.

    b) beschweren: Im nachhinein Leserbriefe und Beschwerden an Behörde und Politik zu schreiben hat oft keine, manchmal überraschende Konsequenzen. Als Betroffener kann man sich beim UVS beschweren, wenn die Amtshandlungn unverhältnismässig war oder nicht den Richtlinien entsprochen hat. Wichtig: Gedächtnisprotokoll, mit Rechtskundigen Möglichkeiten abklären.

    c) sich selbst sichtbar machen. Mit etwas Respektabstand aufstellen und die Amtshandlung aktiv beaobachen, ev. demonstrativ Notizen machen. Fotografieren ist grundsätzlich erlaubt, wenn man die Amtshandlung nicht stört – allerdings macht man sich damit in der Regel zum Ziel. Auch möglich: über den Überwachungsstaat schimpfen, andere Gäste involvieren mit ihnen diskutieren. Abstand halten und sich nicht selbst angreifbar machen.

    d) Beamtshandelte/n adressieren: Blickkontakt aufnehmen, Hilfe anbieten, Fragen, ob man Dritte informieren soll. Name und Geburtsdatum erfragen.

    e) Exekutive defensiv addressieren: Wenn ich selbst beamtshandelt werde, habe ich das Recht, den Grund dafür und die Dienstnummer des/r Polizisten/in zu erfahren. Man kann auch darauf bestehen, gesiezt zu werden. Gehört man keiner verwundbaren Gruppe an und verhält sich höflich, ist das in der Regel kein Problem. Das selbe gilt auch für die zurückhaltende Einmischung in eine Amtshandlung als „Unbeteiligte/r“. Frägt man nur und hält sich an die Anweisungen der Exekutive, kann nicht viel passieren.

    Es ist jedenfalls schon für solche Situationen hilfreich, wieder mal einen Auffrischungs-Workshop zu machen.

    f) Exekutive offensiv addressieren. Will man sich als „Unbeteiligte/r“ offensiv in eine Amtshandlung einmischen, sollte man genau wissen was man tut. Solche Situatoinen eskalieren leicht und mit etwas Pech bleibt man wegen gar nichts mit einer Vorstrafe über. Du sitzt am kürzeren Ast: Die Polizist/innen entscheiden, ob du eine Amtshandlung störst und deshalb weggewiesen werden darfst. Die Missachtung einer Wegweisung wäre ein Verhaftungsgrund. Vor Gericht gilt die Aussage von Polizist/innen doppelt.

    3) Erfahrung sammeln: Die defensiven Interventionen sind oft die wirksamsten. Ein Match mit den Beamt/innen hat schnell negative Folgen für die/den Beamtshandelten oder einen selbst – wenn man nicht mit solchen Situationen erfahren ist.

    Einlesen ist mangels gut aufbereiteter Texte sehr schwierig (Ich hab auch derzeit keinen Überblick, aber hier entsteht gerade was: http://at.rechtsinfokollektiv.org). Am sinnvollsten ist immer noch der Besuch von Workshops und Trainings. ZARA, die Asylkoordination und andere bieten solche gegen Entgelt an, im Vorfeld von Demos gibts immer wieder kostenlose Workshops.

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  2. Irgendjemand

    Ich finde es etwas übertrieben hier gleich „Polizeistaat“ zu schreien. Auch von Rassismus kann man hier nicht sprechen, da mehrere Personen kontrolliert wurden und nicht nur der vermeintliche Ausländer. Im Schengen-Abkommen ist geregelt, dass der Personenverkehr frei ist, was aber nicht unbedingt Personenkontrollen abschafft. Drittstaatangehörige brauchen nach wie vor für’s freie Reisen im Schengenraum ein Reisedokument und wenn eine Person, die offensichtlich nicht Inländer ist oder gewisse Aufenthaltsrechte im Inland besitzt (Asyl, etc.), dann muss sie dazu beitragen, die Identität gesetzesmäßig zu klären. Der Herr hat einen Ausweis vorgezeigt, aus dem vielleicht hervorgeht, dass er keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. In diesem Fall braucht er eventuell zum Reisen einen anderen Ausweis oder einen Reisepass plus Visum für den Schengenraum. Hat er diesen warum-auch-immer nicht bei sich, dann fähr die Polizei mit ihm dorthin, wo er das Dokument hat, kontrolliert das und damit ist die Sache gegessen. Ärgerlich, aber ist so geregelt. An dieser Stelle ist nicht die Polizei zu verteufeln sondern wäre der Gesetzgeber (Österreich bzw. EU) zu kritisieren.

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