Mit dem Vizekanzler auf Du

„Nicht über Betroffene sprechen, sondern Betroffene sprechen lassen“ ist das Fazit des 13. Grundsatz im Echoprinzip. „Storytelling“ heißt das als Buzzword. Oder Geschichten erzählen. Bei Obama sieht das dann so aus. Vor allem die ÖVP hat sich Obama scheint’s zum Vorbild genommen, etwa mit ihrer Mitmachkampagne Aufgehts oder mit dem (eher misglückten) Kurz Video. Das aktuellste aus der Reihe ist großteils sehr gut gelungen. Sie lassen tatsächlich ganz normale Menschen zu Wort kommen – und das noch dazu wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Man sieht keine steifen Menschen, die geschriebene Sätze aufsagen, sondern Menschen die vor der Kamera frei gesprochen haben und deren Sätze danach sorgfältig ausgewählt wurden.

Das Problem des ÖVP-Videos: Der Vizekanzler. Er ist die Stimmungs-Bruchstelle des Spots. Zu aufgesetzt, gut gelaunt und duzend, verlängert er den schon recht langen Spot um gut 30 Sekunden. Wesentlich geschickter hätte ich es gefunden, würde er – in der selben Struktur der anderen Geschichten – erst die Vision seines Österreichs erzählen und sich erst dann als Michael Spindelegger zu erkennen geben. Das würde ihn auf eine gleichberechtigte Stufe mit seiner Basis stellen und ihn als Wahlkampfhelfer in Chief inszenieren. Gleichzeitig würde das den Stil des Videos erklären, die Gesichter der Erzählenden erst am Ende zu zeigen. Ohne diesen Twist wirkt es eher so, als hätten die Menschen darum gebeten, anonym zu bleiben.

Diese Chance vergeben ist der Vizekanzler der einzige, der nicht redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, sondern einem offensichtlich sorgsam geschriebenen und mit rhetorischen Stilmittel versehenen Skript folgt. Damit wirkt er – dem DU zum trotz – wie ein Politiker, nicht wie ein Mensch.

Das erfundene Netz

Zwar beweist die Kurz’sche YouTube Causa, dass auch die junge Politik noch immer alte Taktiken auf neue Kanäle anzuwenden versucht, die mediale Kritik ist aber übertrieben – und übersieht daher das Wesentliche. 

Eines der bekanntesten Obama Videos ist Five Years Ago Today: The Story of Us. Ein Video das am Jahrestag der Ankündigung der Kandidatur  veröffentlicht wurde. Es sollte ehemalige AktivistInnen an die glorreichen Zeiten des 08er Wahlkampfs und die Erfolge der letzten fünf Jahre erinnern. Dieses Video mit knapp 800.000 Views wurde Sebastian Kurz jetzt zum Verhängnis – weil er es sich zum Vorbild nahm.  

Auch Kurz‘ Video beginnt mit seinem Auftritt auf der bundesweiten Bühne: Zeitungsartikel, die die Unerfahrenheit von Kurz kritisieren, fliegen animiert durch’s Bild. Doch als sie ihn endlich arbeiten lassen – so das Narrativ des Videos – beweist er durch seine Kompetenz das Gegenteil: Google Suchergebnisse zeigen Erfolge der JVP, Kommentare von FB Fans und Twitter FollowerInnen jubeln. Bloß: Während Obama auf genügend Originalfotos, Videos und Ton zurückgreifen kann und auf genügend Like-Zahlen verweisen kann, musste Kurz hier in die Photoshop-Kiste greifen: Wie ATV Journalist Martin Thuer erkannte und danach Kathrin Burgstaller sehr genau recherchierte, sind die Akteure und Zeitungsartikel in Kurz‘ Video erfunden, die Portraitfotos Agenturbilder, die Like Zahlen unter einem Post mit einem 10er Multiplikator verschönert. Selbst Kurz‘ Tweets dürften erfunden sein. 

Das hat die Entrüstung in dieser Größenordnung nicht verdient: Auch in Barack Obama’s Video sind die KommentatorInnen keine echten Accounts und auch die Posts des Präsidenten sind heute nicht mehr auffindbar.(1) Der JVP Presseprecher hat recht wenn er gegenüber dem Standard sagt: „Wie bei Foldern oder Inseraten wurden Agentur- und Symbolbilder verwendet, so wie das bei anderen Filmen oder Werbeeinschaltungen auch passiert.“

Es zeigt sich wieder einmal, dass bei allen „wie Obama sein“-Versuchen die Parteien sich nicht von ihrem Modus Operandi verabschieden können: Alten Wein in neue Schläuche zu füllen und zu versuchen mit alten PR Taktiken neue Kanäle zu bespielen.  Haben wir in Foldern so gemacht, machen wir auch im Netz so. Und bei falschen Fans sollen sie von mir aus auch.

Was aber handwerklich schlecht und moralisch zweifelhaft ist – und was stärker als die falschen Freunde in den Mittelpunkt rücken sollte – ist die Tatsache, dass das Kurz’sche Video Schlagzeilen von vermeintlichen JVP Erfolgen erfunden wurden, weil es offenbar nicht genug Schlagzeilen über tatsächliche Erfolge gibt. Wer so ein Video mit so einer Sammlung an – echten – kritischen Zeitungsberichten beginnt und sie mit falschen jubelnden Zeitungsberichten versucht zu entkräften, hat schlechte BeraterInnen und/oder selbst kein strategisches Gespür.

Wenn es um die Darstellung von Erfolgen geht, hat es Barack Obama offenbar ein wenig leichter als Sebastian Kurz.

UPDATE:

Das Internet vergisst doch nicht! Freundlicherweise wurde ich von @Tagespolitik auf eine Reinkarnation des Videos aufmerksam gemacht. Meine Erinnerung hat mich nicht besonders getrübt. Die einzige Sache, die den schönen Aufbau des obigen Blogposts zerstört ist, dass das Video zuerst die Erfolge und dann die kritischen Artikel zeigt. Auch sollte man die (wahrscheinlich auch nicht echten, aber gut imitierten) zwei kritischen Kommentare.  In Sekunde 00:31 stänkert ein Internettroll „Aha? ÖVP&Demokratie?!?“ und in 1:08 fasst surbi24 die Kritik an Kurz zusammen: „Bin da sehr skeptisch, so jung und in der Regierung?“ Alles in allem hält aber die Analyse stand, denn Erfolge, Jubelmeldungen und Likes sind großteils fake.