There’s an app for that

Bis zur Österreichischen Nationalratswahl am 29. September “beobachte” ich wöchentlich “das Netz,” für die ZEIT, wie sie in der Bildunterschrift zur ersten Kolumne so schön schreibt. Diese zweite Kolumne erschien am 5.9.2012.

Aus einem von mir nicht nachvollziehbaren Grund sind iPhone-Apps das weitverbreitetste Medium der Onlinekommunikation. Jene der Wiener SPÖ, der ÖVP Burgenland oder der Kärntner Freiheitlichen beschränkten ihren Nutzen auf „aktuelle News und Termine“. Dass zwei der drei Applikationen nicht mehr im AppStore zu finden sind, zeigt, wie nützlich das Angebot gefunden wurde. Ich bin nur in Ausnahmefällen ein Fan von politischen Apps. Einerseits sind sie teuer, andererseits können die meisten nichts, was nicht eine mobil optimierte Website auch könnte. An politische Apps müssen zwei Fragen gestellt werden: Werden sie von Menschen heruntergeladen, die ohnehin schon überzeugt sind? Oder helfen sie Menschen, die schon überzeugt sind, andere zu überzeugen?

Eine App, die beide Fragen zumindest mit einem konsequenten Jein beantwortet, ist das Part of the Game-Game der Grünen. Das Konzept ist simpel: Man läuft als einer der Korruptionsbeschuldigten der letzten Jahre durch das Spiel und versucht Eurofighter, Verträge oder Inserate zu sammeln. Zwar ist die App auf den ersten Blick klar parteiisch, das Spiel hat aber auch für Nichtparteigänger durchaus Unterhaltungswert. Jein auch auf die zweite Frage: Die als social gedachte Funktion des Spiels – punkten kann nur, wer Freunde via Facebook einlädt – wird zwar niemanden überzeugen, hat aber zumindest dazu geführt, dass das Spiel – nach Angaben der Grünen – von 150.000 Menschen heruntergeladen wurde. Die App zeigt aber vor allem eines: Die Grünen wollen über Korruption reden. Es wäre ihnen wohl am liebsten, einer der anderen Protagonisten des Games würde sie verklagen.

Mit dem Vizekanzler auf Du

„Nicht über Betroffene sprechen, sondern Betroffene sprechen lassen“ ist das Fazit des 13. Grundsatz im Echoprinzip. „Storytelling“ heißt das als Buzzword. Oder Geschichten erzählen. Bei Obama sieht das dann so aus. Vor allem die ÖVP hat sich Obama scheint’s zum Vorbild genommen, etwa mit ihrer Mitmachkampagne Aufgehts oder mit dem (eher misglückten) Kurz Video. Das aktuellste aus der Reihe ist großteils sehr gut gelungen. Sie lassen tatsächlich ganz normale Menschen zu Wort kommen – und das noch dazu wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Man sieht keine steifen Menschen, die geschriebene Sätze aufsagen, sondern Menschen die vor der Kamera frei gesprochen haben und deren Sätze danach sorgfältig ausgewählt wurden.

Das Problem des ÖVP-Videos: Der Vizekanzler. Er ist die Stimmungs-Bruchstelle des Spots. Zu aufgesetzt, gut gelaunt und duzend, verlängert er den schon recht langen Spot um gut 30 Sekunden. Wesentlich geschickter hätte ich es gefunden, würde er – in der selben Struktur der anderen Geschichten – erst die Vision seines Österreichs erzählen und sich erst dann als Michael Spindelegger zu erkennen geben. Das würde ihn auf eine gleichberechtigte Stufe mit seiner Basis stellen und ihn als Wahlkampfhelfer in Chief inszenieren. Gleichzeitig würde das den Stil des Videos erklären, die Gesichter der Erzählenden erst am Ende zu zeigen. Ohne diesen Twist wirkt es eher so, als hätten die Menschen darum gebeten, anonym zu bleiben.

Diese Chance vergeben ist der Vizekanzler der einzige, der nicht redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, sondern einem offensichtlich sorgsam geschriebenen und mit rhetorischen Stilmittel versehenen Skript folgt. Damit wirkt er – dem DU zum trotz – wie ein Politiker, nicht wie ein Mensch.

Das erfundene Netz

Zwar beweist die Kurz’sche YouTube Causa, dass auch die junge Politik noch immer alte Taktiken auf neue Kanäle anzuwenden versucht, die mediale Kritik ist aber übertrieben – und übersieht daher das Wesentliche. 

Eines der bekanntesten Obama Videos ist Five Years Ago Today: The Story of Us. Ein Video das am Jahrestag der Ankündigung der Kandidatur  veröffentlicht wurde. Es sollte ehemalige AktivistInnen an die glorreichen Zeiten des 08er Wahlkampfs und die Erfolge der letzten fünf Jahre erinnern. Dieses Video mit knapp 800.000 Views wurde Sebastian Kurz jetzt zum Verhängnis – weil er es sich zum Vorbild nahm.  

Auch Kurz‘ Video beginnt mit seinem Auftritt auf der bundesweiten Bühne: Zeitungsartikel, die die Unerfahrenheit von Kurz kritisieren, fliegen animiert durch’s Bild. Doch als sie ihn endlich arbeiten lassen – so das Narrativ des Videos – beweist er durch seine Kompetenz das Gegenteil: Google Suchergebnisse zeigen Erfolge der JVP, Kommentare von FB Fans und Twitter FollowerInnen jubeln. Bloß: Während Obama auf genügend Originalfotos, Videos und Ton zurückgreifen kann und auf genügend Like-Zahlen verweisen kann, musste Kurz hier in die Photoshop-Kiste greifen: Wie ATV Journalist Martin Thuer erkannte und danach Kathrin Burgstaller sehr genau recherchierte, sind die Akteure und Zeitungsartikel in Kurz‘ Video erfunden, die Portraitfotos Agenturbilder, die Like Zahlen unter einem Post mit einem 10er Multiplikator verschönert. Selbst Kurz‘ Tweets dürften erfunden sein. 

Das hat die Entrüstung in dieser Größenordnung nicht verdient: Auch in Barack Obama’s Video sind die KommentatorInnen keine echten Accounts und auch die Posts des Präsidenten sind heute nicht mehr auffindbar.(1) Der JVP Presseprecher hat recht wenn er gegenüber dem Standard sagt: „Wie bei Foldern oder Inseraten wurden Agentur- und Symbolbilder verwendet, so wie das bei anderen Filmen oder Werbeeinschaltungen auch passiert.“

Es zeigt sich wieder einmal, dass bei allen „wie Obama sein“-Versuchen die Parteien sich nicht von ihrem Modus Operandi verabschieden können: Alten Wein in neue Schläuche zu füllen und zu versuchen mit alten PR Taktiken neue Kanäle zu bespielen.  Haben wir in Foldern so gemacht, machen wir auch im Netz so. Und bei falschen Fans sollen sie von mir aus auch.

Was aber handwerklich schlecht und moralisch zweifelhaft ist – und was stärker als die falschen Freunde in den Mittelpunkt rücken sollte – ist die Tatsache, dass das Kurz’sche Video Schlagzeilen von vermeintlichen JVP Erfolgen erfunden wurden, weil es offenbar nicht genug Schlagzeilen über tatsächliche Erfolge gibt. Wer so ein Video mit so einer Sammlung an – echten – kritischen Zeitungsberichten beginnt und sie mit falschen jubelnden Zeitungsberichten versucht zu entkräften, hat schlechte BeraterInnen und/oder selbst kein strategisches Gespür.

Wenn es um die Darstellung von Erfolgen geht, hat es Barack Obama offenbar ein wenig leichter als Sebastian Kurz.

UPDATE:

Das Internet vergisst doch nicht! Freundlicherweise wurde ich von @Tagespolitik auf eine Reinkarnation des Videos aufmerksam gemacht. Meine Erinnerung hat mich nicht besonders getrübt. Die einzige Sache, die den schönen Aufbau des obigen Blogposts zerstört ist, dass das Video zuerst die Erfolge und dann die kritischen Artikel zeigt. Auch sollte man die (wahrscheinlich auch nicht echten, aber gut imitierten) zwei kritischen Kommentare.  In Sekunde 00:31 stänkert ein Internettroll „Aha? ÖVP&Demokratie?!?“ und in 1:08 fasst surbi24 die Kritik an Kurz zusammen: „Bin da sehr skeptisch, so jung und in der Regierung?“ Alles in allem hält aber die Analyse stand, denn Erfolge, Jubelmeldungen und Likes sind großteils fake.

Das politische Bild

Das politische Bild war schon immer ein wichtiger Kommunikationskanal, um Botschaften zu verbreiten – der Nebenfachhistoriker in mir zwingt mich HerscherInnenportraits zu erwähnen. Online sind sie der beste Beweis meiner These, dass alte Methoden auf neue Kanäle angewandt werden: Medienaktion mit PolitikerIn, AktivistInnengruppenfoto und Transparent im Hintergrund hier, Pressekonferenzfoto da. Die Amis (und, wie das Bild von Wowereit zeigt, zum Teil die Deutschen) sind da schon weiter und hören auf, gestellte Grinsefotos zu veröffentlichen – sondern stattdessen (genauso kontrollierte) Schnappschüsse. Jetzt könnte man meinen, nagut, kann halt nicht jeder so charismatisch sein wie Obama und Wowe. Doch ich finde, gerade Fotos von Pete Souza, dem offiziellen Fotografen des Weißen Hauses zeigen, dass es nicht so sehr das Motiv ist, das langweilig ist, sondern die Linse. Der schafft es sogar die als stocksteif geltende Merkel als sympathischen Menschen zu zeigen, die ihren Job macht – und auch mal Pause: Das hier und das hier finde ich zwei schöne Bespiele.

Das war auch Thema beim Pressegespräch zum Buch letzen Mittwoch, wo einer der besten Pressefotografen des Landes, Christian Müller, einen Punkt einbrachte, den ich im Buch nicht berücksichtig habe: Fotografen brauchen Platz. Der Grund, warum Pete Souza solche Bilder schießen kann ist, weil niemand in der Nähe des Objekts ist, das fotografiert werden soll. In Österreich drängelt sich immer ein Hinterbänkler auf’s Bild oder PassantInnen oder der/die PressesprecherIn. In den USA sind PolitikerInnen weiträumig abgeblockt vom einfachen Volk – sogar wenn sie dem einfachen Volk die Hand geben. Auch wenn es nicht erklärt, warum Organisationen noch immer Fotos einer Medienaktion zeigen und nicht AktivistInnen, die ein Wochenende lang an einem Transparent für eine Medienaktion malen, ist es doch eine Erklärung für fade Pressekonferenzfotos und führt zu einem Dilemma: so abschotten wie Amis sollten sich unsere PolitikerInnen ja dann doch nicht.

Auf Plakaten hat sich zumindest die ÖVP bereits vom alten Herrscherportraitfotostil verabschiedet, wenn man dem Bericht in einer Zeitung (die ich mir leider nicht gemerkt hab – war’s im Profil?)  glauben mag: Bald wird uns Michael Spindelegger – beraten von Deutschen – nicht in Herrscherpose, sondern in Wowereit-Pose grüßen; wenn ihm nämlich ein Kind einen Hut aufsetzt. Vielleicht verstehe ich dann endlich die „Startup/Matura/Bauherr“-Sujets.

UPDATE: Da ist es jetzt endlich: Michael Spindelegger geht auf den Spielplatz und es wird ihm ein Hut aufgesetzt.