Let the good times roll. Das war das Motto von New Orleans vor Katrina. Seit ich zurück bin, bin ich natürlich ständig gefragt worden, wie es war und ich konnte es nie so richtig zufriedenstellend beschreiben. Schaurig schön war bisher die beste Adjektivkette (nein, das ist keine offizielle grammatische Kathegorie), die mir eingefallen ist. Der Reihe nach:
Am Freitag wurde ich von einem supernetten Couchsurfer vom Flughafen abgeholt und über die Nobelstraße St. Charles in die Stadt gebracht. Das Wetter war yussifreundlich: warm, aber nicht schwül (eine seltene Kombination in NOLA) und sollte auch so bleiben. Meinen ersten Nachmittag hab ich mit Beignets gestartet, eine krapfenähnliche Ausrede, möglichst viel puren Staubzucker zu sich zu nehmen. Dass New Orleans französischen Stolz hat, bekommt man sofort zu spüren: French Quater, Cafe du Monde, French Market, eine gülderne Jean d’Arc trohnt gehissten Flaggen von Louisianna, den USA und Frankreich, überall Fleur de lis in unterschiedlichen Varianten. Im French Quater kann man sich unbesorgt bewegen, versichert mit mein neuer Couchsurfingfreund und so wandere ich herum. Das French Quater ist das älteste Viertel von New Orleans. Die Franzosen, garnichtblöd, haben das einzig besiedelbare Land besiedelt. Das FQ ist die einzige Stelle New Orleans über dem Meeresspiegel und deshalb unzerstört. Überall sind wunderschöne Balkone, mit Pflanzen und Halloweenschmuck behangen. Während ich im Mardi Gras Museum meine Runden drehe, beginnt draußen eine Brasband zu spielen, die Schatten werden länger.
Tourismus
Neben den wunderbaren Balkonen fällt im Quater noch etwas auf: Menschen laufen mit Bier rum. Open Container sind normalerweise in den USA nicht erlaubt und dementsprechend erklärt sich, warum New Orleans bei dem Amis so beliebt ist: Hier dürfen sie mit Alkohol in der Gegend rumlaufen. Wie aufregend. Das erklärt auch die Burbon Street, eine erwachsene Version des Bermuda Dreieck. Man lernt: Was in Europa für Einheimische Deutsche Touristen sind, ist in den USA für Einheimische inneramerikanischer Tourismus. (Meine Argentinische Kollegin sagt übrigens, dass es in Südamerika kein verschrienes Touristenland gibt – wir gehen dementsprechen davon aus, dass Argentinien das Land ist, aus dem die mühsamen Touristen kommen)
Katrina
Am Abend treffe ich mich mit meiner Couchsurferin für die nächsten 2 Tage. Sie ist seit 5 Jahren hier. Nicht nur heißt sie Katrina, sie hat auch einen Tag nach Katrina (Sturm) Geburtstag. Von ihr lerne ich, was eine New Orleanserin ausmacht: Eine persönliche Katrinageschichte und mindestens einen Raubüberfall (passiv) und die Bekanntschaft mit einem Mordopfer.
Ihre Katrinageschichte: Sie ist in letzter Sekude evakuiert. Ihre Katze hat sie auf die schnelle nicht finden können und hat sie dagelassen (Daran erinnert heute noch der ausgebleichte in Rot gesprayte „Cat retrieved“ Schriftzug an ihrer Eingangstür). Zurückgekommen ist sie früher als erlaubt, etwa ein Monat nach dem Sturm. Ihr damaliger Freund hat für die Stadt gearbeitet. In ihrem Viertel gab es keinen Strom, kein Wasser, keine Menschen und Ausgangssperre. Sie sind jeden Tag aufgestanden, er in die Arbeit, sie ins Quater gegangen, wo zwei Bars offen hatten, die ob ihres unerklärlichen Internetanschlusses, mit allen JournalistInnen dieser Welt gefüllt war. 16+ Stunden später sind sie in der Dunkelheit nach Hause gewandert.
Ich bin ihn gegangen: Selbst mit Straßenbeleuchtung ist der Weg vom Quater zu ihr entrisch (In New Orleans geht man grundsätzlich in der Mitte der Straße – besser von einem Auto angehupt zu werden, als zwischen Autos überfallen zu werden oder in einen Hauszwischenraum/garten/hinterhof gezerrt zu werden). Ihre Gegend ist trotzdem – oder eben gerade weil sie so abgefakt ist – charmant. Das meine ich mit schaudrig schön. Es ist doch eine Community. Im Umkreis von ein Paar Blocks kennt man sich, es gibt ein Cafe in der Gegend, das die Nachbarschaft in der Früh und am Wochenende versammelt. Die Shotgunhäuser sind vom Sturm demoliert, Femakreuze verraten noch auf vielen Häusern, ob und wieviele Leichen gefunden wurden (die unterste Zahl im Kreuz), Eingebrochen wurde bei jedem schon. Und trotzdem: Es ist reizvoll. Wenn übrigens Wohnwägen vor dem Haus stehen, dann sind das FEMA Trailer und die Menschen wohnen da schon zwei Jahre, während sie versuchen ihr Haus wieder bewohnbar zu machen.
Die Katrinageschichte eines Freundes von ihr: Er und seine Punkfreunde sind zu seinen Eltern aufs Land gefahren und haben zwei Monate lang einen auf Kommune gemacht. Seitdem mag seine Mutter Punks und bekocht sie einmal im Jahr auf einem Privatfestival.
Nord Neworleans
Den Samstag beginne ich mit Breakdancern auf der Straße und einem Po-Boy zum Brunch. Das Museum über Louisianna lehrt mir nicht nur alles über den Verkauf von LO, sondern auch über Sklaverei (recht früh abgeschafft), Französische und Spanische Besatzung. A pros pros Besatzung: In New Orleans zieht noch immer die Nationalgarde ihre Runden. Die New Orleaner, die wahlweise behaupten, die europäischte Stadt der USA (das hab ich ja wirklich noch von jeder Stadt gehört, in der ich war) oder die nördlichste karibische Stadt zu sein, sprechen daher von der Besatzung durch die USA.
Nachdem ich am Sonntag das D Day Museum besucht habe und am Mississippi Dampfer gefahren bin, erfahre ich eindruckvoll den nicht funktionierenden öffentlichen Verkehr von New Orleans: Ich ware 45 Minuten auf die Straßenbahn, um dann entnervt zu versuchen, ein Taxi zu bekommen, was sich schwerer herausstellt, als es scheint: Nachdem Taxis so oft ausgeraubt werden, nehmen sie keine Passagiere von der Straße. Das Taxi bringt mich zum City Park, wo mich Edith abholt, die mich nicht nur die nächsten beiden Nächte bei sich schlafen lässt, sondern mich gleich mit einer Grillerei empfangen hat und mich die nächsten beiden Tage mit hervorragendem, selbstgemachten Essen beglückt hat (Danke für die Gastfreundschaft nochmal und Credits auch an Meinhard für die Lasagne 🙂
Sie wohnt gleich neben der Uni, die Uni ist gleich neben dem See und demensprechend schaut die Gegend auch noch immer aus: Eine suburbane, baumlose Gegend, mit Müllhaufen auf der Straße und zerstörten Häusern überall. Wie hoch das Wasser gestanden ist, zeigt noch immer das Fliegengitter vor Ediths Eingangstür.
Montag ist fast alles geschlossen. Die Friedhöfe nicht, aber auf die darf man alleine nicht gehen, weil man sonst erschossen wird. (Spart wahrscheinlich Transportkosten). Deshalb bleibe ich nicht lange auf dem kleinen Friedhof, obwohl er als sicher gilt und eine Gruppe von Gärtnern immer in Blickweite war. Die reiche Straße, über die ich am Freitag nach NOLA gekommen bin, wandere ich am Nachmittag entlang. Selbst hier sind noch nicht alle Sturmschäden repariert. Die anarchischen Zustände beim öffentlichen Verkehr haben nicht nur Nachteile (am Weg zurück Autostoppe ich einen Bus) glaube ich so lange, bis ich 30 Minuten auf einen Anschlussbus warte.
Fun Fact
Disclaimer für nachfolgenden Absatz: Nein, Eva Stiegler, du kannst nicht stolz darauf sein, dass ich dieses Werk erwähne. Nein, es ist nichts was du mir fürs Leben beigebracht hast, ich weiß nicht mal mehr, worum es in diesem Buch geht.
FunFact zu New Orleans: Tennessee Williams hat „Streetcar named Desire“ in New Orleans geschrieben und tatsächlich existierte mal ein Streetcar, das die Desire Str. entlang gefahren ist. Nur, dass die Straße dem Vernehmen nach nicht nach der Sehnsucht, sondern vielmehr nach Napoleons Geliebter Desiree benannt ist.
Musik
Und die Musik? Die Musik ist ein bisschen leiser geworden in New Orleans – oder ich hab sie nicht ganz so bermerkt. Zwar spielen auf der Straße unvermittelt Brassbands und in den Bars Frenchmenstreet (da sind sie wieder die Franzosen) sind jeden Tag Livegigs, aber als Jazzstadt hab ich New Orleans nicht so 100% erlebt. Auch wenn das Conventioncenter den Ruf aufrecht erhalten will: Soul is waterproof.